Gast: Dr. Maria Muhle (Bauhaus-Universität Weimar)
Das Workshop soll zuerst dazu beitragen, ein paar wichtige Begriffe und ihrer Funktion im Foucaults Mittel- und Spätwerk (also ab Surveiller et punir) zu klären. Diese konzeptuelle Aufräumungsarbeit ist deswegen wichtig, weil Begriffe wie „Biopolitik", „Gouvernementalität" oder „Selbsttechniken" sich innerhalb der letzen 10 Jahren in den Humanwissenschaften so institutionalisiert haben, dass sie heute als theoretischen Hintergrund von neuen Forschungsprogrammen, ja sogar von neuen Disziplinen fungieren. Dabei scheint der Stellenwert und die Verortung dieser jeweiligen Begriffe/Konzepte im Gesamtwerk Foucaults nocht nicht ganz geklärt zu sein. Als Beispiel kann man die Frage nennen, ob die Übergänge vom Begriff der Disziplinarmacht zu dem der Biopolitik und vom Biopolitik- zum Gouvernementalitätsbegriff, einen Perspektivenwechsel oder einen Bruch innerhalb der Machttheorie Foucaults darstellt. Diese Frage der (Dis-)Kontinuitäten im Werk Foucaults betrifft aber auch der Übergang von den machttheoretischen Überlegungen zu den subjekttheoretischen (Zwischen La Volonté de savoir und L'Usage des plaisirs). Diese werkgeschichtlichen Interpretationsproblemen sind insofern von Bedeutung, als die Foucault-Rezeption, so verschiedenartig sie auch ist, oft nach einem möglichen „Ausweg" aus den Machtverhältnissen, nach einer „Gegengift zur Macht" oder nach einer Theorie der „guten" Form der Machtaussübung oder Regierungskunst bei dem späten Foucault sucht. Foucault wird nämlich oft quasi-teleologisch gelesen:
Zuerst hätte Foucault die Machtstrukturen dort sichtbar gemacht, wo sie am unsichtbarsten seien. „Sichtbar" seien die Machtstrukturen, wenn sie repressiv seien, wenn sie verbieten, wenn sie gewalt- und gesetzförmig seien, wenn sie von oben nach unten operieren. Gegen diese traditionelle, „negative", souveränitätstheoretische, diskursiv-juridische Machtdefinition, setze Foucault einen weiterführenden „positiven" Machtbegriff ein, der ermögliche, bestimmte Machtverhältnisse, für die die sogenannte Souveränitätsproblematik blind war, in den Blick zu bekommen. Die Machteffekte, wie sie in den Studien zur Biopolitik und Gouvernementalität beschrieben würden, seien nämlich am unsichtbarstem, d.h. am effizientesten, weil sie bestimmte „immanenten" gesellschaftlichen Prozesse dezentralisiert fördern, unterstützen, normalisieren, regulieren, kontrollieren, lenken anstatt sie einfach zu verbieten oder zu verordnen.
Am Ende hätte Foucault aber eingesehen, dass Emanzipation, Kritik und Politik nicht möglich seien, wenn „die Macht" allgegenwärtig sei. Deswegen hätte er nach einer Gegengift gesucht. Und hier streiten sich die Foucault-Interpreten um das, was der Ort des Widerstands zur Macht eigentlich sein könnte: Das widerständige Leben, das Deleuze bei dem Spät-Foucault als eine „neue Achse" (neben der Achse des Wissens und der Macht) identifiziert? Das ästhetisch-ethische Subjekt der „Selbsttechniken", wie es in der Geschichte der Sexualität II und III dargestellt sei? Eine „gute" Gouvernementalitätsform, wie die des „Liberalismus"?
Im Rahmen des Workshops sollen sowohl diese verschiedenen Interpretationsmustern, als auch die oft zitierte, aber erstmal wenig weiterführende Gegenthese, nach der Widerstand und Macht sich immer wechselseitig bedingen, diskutiert, bzw. in Frage gestellt werden.